Unser Weinjahr ist geprägt von arbeitsreichen, aktiven Phasen, sowie von Phasen, die uns zum Loslassen zwingen. Auch wenn grundsätzlich die Reihenfolge dieser Phasen relativ gleich bleibt, ist die genaue Ausprägung im jedem Weinjahr von vielen Faktoren abhängig.
Im Februar der Rückschnitt in der Kälte im kargen Feld. Die Erinnerung an die überwältigende Vegetation des Vorjahres ist da fast schon verblasst. Mit dem Austrieb startet dann das Jahr so richtig in den Feldern, regelmäßige Pflanzenstärkungsmaßnahmen und – wo nötig – Pflanzenschutz mit Tees, Molke und Backpulver, das Anbinden der Triebe, das regelmäßige Hacken des Unterstockbereichs, das Entblättern zum richtigen Zeitpunkt, das Wickeln und Gipfeln der Triebe. Im August muss die Traubenzone durch Netze vor Wespen, Vögeln und Waschbären geschützt werden. Dann kommt eine Phase des ersten Loslassens.
Loslassen #1: Wie die Qualität der Trauben schlussendlich sein wird, welche Menge gelesen werden kann und wie arbeitsreich vor allem die Lese sein wird, entscheidet nun – noch mehr als zuvor – die Witterung. Wir können nur beobachten, fühlen und abwarten, bis je nach Rebsorte und gewünschtem Wein der richtige Lesezeitpunkt da ist. Ein Balanceakt zwischen zu früher und zu später Lese. Lagom würde der Schwede zum genau richtigen Zeitpunkt sagen. Aber der ist ja eh höchst individuell.
Abhängig von dem Zustand der Trauben kann die Lese ein entspannt, fast schon meditativer Vorgang sein oder aber viel Aufwand für wenig Menge in den Lesekisten bedeuten. War die Kirschessigfliege aktiv und mit Ihr die anderen Räuber, hat die Graufäule die mittlere Traubenzone fest im Griff, gibt es Stiellähme muss jede Traube selektiv ausgeschnitten werden. Im Extremfall sind dann auch Lesemengen von nur 10kg/h pro Person möglich. Bei mehreren Ertragsanlagen und vielfältiger Rebsortenlandschaft gibt es aber normalerweise immer beides.
Über 4-8 Wochen kommen nun regelmäßig Trauben in die Kelterei und werden dort in Handarbeit verarbeitet. Natürlich gibt es vorher einen Plan, was wir in der Kelterei herstellen möchten, aber je nach Qualität, Menge, Mostgewicht und Säure ändert sich das durchaus nochmal. Schlussendlich landet aber nach der Vergärung der junge Wein in x verschiedenen Gebinden, um auf der Vollhefe weiter zu reifen.
Loslassen #2: In der Erntezeit und bei der Verarbeitung in der Kelterei hatten wir eine große zeitliche Belastung und waren wieder voll im Tun. Ist die Arbeit getan und die Kelterei wieder aufgeräumt nach dem ganzen Chaos – startet die nächste längere Phase des Loslassens. Jetzt können wir uns die nicht besonders sinnvolle Frage stellen, ob wir alles richtig gemacht haben oder voll im Vertrauen den Wein weiter begleiten. Wir entscheiden uns immer für Letzteres und hören beim regelmäßigen Probieren des Jungweins tief in uns hinein. Und dabei löst sich der Wein Stück für Stück von uns und steht spätestens zur Abfüllung schon sehr eigenständig da.
Im Hintergrund läuft schon die Vorbereitung auf das nächste Weinjahr indem wir die Felder bereit für den Winter machen. Auf unseren dann schon 4. eigenen Jahrgang.
Danke an Boris Mehl für das Foto
https://borismehl.de/